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Wenn Luxusmarken Traditionen vergessen: Indiens Handwerk als Modevorlage ohne Anerkennung

by Jasmin Gloor
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Ein handgefertigter Schuh löst globale Debatte aus

Im Juni präsentierte das italienische Modehaus Prada auf der Mailänder Fashion Week eine neue Sandale. Das Modell ähnelte stark der Kolhapuri-Chappal – einer traditionsreichen Ledersandale aus dem westindischen Maharashtra. Obwohl diese Schuhe seit Jahrhunderten in Kolhapur von Hand gefertigt werden, nannte Prada weder den Namen noch den Ursprung des Designs.

Das Auslassen dieser Informationen rief scharfe Kritik hervor. Besonders in sozialen Medien warf man dem Unternehmen kulturelle Aneignung vor. In einer offiziellen Erklärung reagierte Prada auf den Druck und erklärte, die Wurzeln der Sandale anzuerkennen und mit lokalen Handwerkern in den Austausch treten zu wollen.

Kurz darauf reisten Vertreter der Marke nach Kolhapur. Sie führten Gespräche mit Kunsthandwerkern und Geschäftsinhabern vor Ort, um mehr über die Herstellung und Geschichte des Schuhs zu erfahren. Außerdem traf man sich mit einer wichtigen regionalen Handelskammer, was laut dem Unternehmen zu einem erfolgreichen Dialog führte. Zukünftige Kooperationen mit Produzenten in Kolhapur wurden in Aussicht gestellt.


Wiederholtes Muster: Inspiration ohne Herkunftsnennung

Prada steht nicht allein mit diesem Vorgehen. In der Modewelt gibt es zahlreiche Beispiele für Marken, die kulturelle Elemente aus Südasien übernehmen, ohne diese korrekt zuzuordnen.

Zu Jahresbeginn gerieten etwa H&M und Reformation in die Kritik. Ihre Frühjahrsdesigns erinnerten viele an traditionelle südasiatische Kleidung. H&M wies die Vorwürfe zurück, während Reformation erklärte, das Design sei aus einer Zusammenarbeit mit einem Model entstanden.

Nur wenige Wochen später präsentierte Dior in Paris einen Mantel mit gold-weißer Metallstickerei. Die aufwendige Technik erinnerte viele an Mukaish, eine jahrhundertealte indische Stickkunst. Doch auch hier fehlte jede Erwähnung der Herkunft.

Einige Experten argumentieren, dass Designer weltweit Einflüsse aus anderen Kulturen einbinden – häufig ohne böse Absicht. Doch gerade im schnelllebigen Luxussegment fehlt oft die Zeit, um kulturelle Kontexte ausreichend zu reflektieren.


Anerkennung ist mehr als ein Trend

Kritiker betonen, dass kulturelle Inspiration ohne Respekt zur Ausbeutung wird – insbesondere wenn große Marken davon finanziell profitieren. Designverantwortung bedeute, Quellen zu benennen, so die Modejournalistin Shefalee Vasudev. Dies sei Bestandteil jeder Designausbildung. Wer das ignoriere, zeige kulturelles Desinteresse gegenüber Regionen, aus denen man schöpft.

Trotz wachsender Relevanz erkennen viele Luxusmarken Indien noch nicht als ernstzunehmenden Markt. Laut Analysten könnte der indische Luxusmarkt bis 2032 rund 14 Milliarden US-Dollar erreichen. Doch vielerorts bleibt die Nachfrage gering.

Berater Arvind Singhal erklärt: Die meisten Inder kennen Marken wie Prada nicht – die Nachfrage beschränke sich auf eine wohlhabende Elite. Das reiche nicht, um langfristige Geschäftsmodelle aufzubauen. Viele Labels ziehen es deshalb vor, Indien als Produktionsstandort zu sehen, nicht als Konsumentenmarkt.


Indiens Rolle in der globalen Modeproduktion

Der indische Designer Anand Bhushan erinnert daran, dass indische Kunsthandwerker seit Jahrzehnten für Luxuslabels in Paris und Mailand arbeiten. Viele Stickereien und Textilien entstehen in Indien – doch selten erhalten die Handwerker Anerkennung. „Es reicht nicht, eine Kultur zu kopieren und sie als eigene Kreation zu vermarkten“, sagt Bhushan.

Ein besonders umstrittenes Beispiel sei Karl Lagerfelds „Paris-Bombay“-Kollektion von 2011. Diese enthielt zahlreiche indische Elemente – von Sari-Interpretationen bis zu Nehru-Jacken. Während einige die Schau als kulturelle Würdigung feierten, kritisierten andere sie als oberflächlich und stereotyp.

Trotz dieser Vorfälle erkennt Nonita Kalra, Chefredakteurin einer indischen Luxusplattform, bei Prada einen ernsthaften Willen zur Korrektur. Die Maßnahmen des Unternehmens deuteten auf ehrliche Einsicht hin. Das eigentliche Problem sieht sie in der fehlenden kulturellen Vielfalt in westlichen Modeteams. Wer nur durch eine westliche Brille blicke, verkenne kulturelle Bedeutung.


Indien muss sein kulturelles Erbe verteidigen

Die Diskussion über kulturelle Aneignung betrifft nicht nur internationale Marken. Auch Indien selbst muss lernen, sein Handwerk besser zu schützen. Viele Kunsthandwerker arbeiten unter schwierigen Bedingungen. Sie erhalten wenig Bezahlung, kaum rechtlichen Schutz – und verlieren oft die Kontrolle über ihre eigenen Designs.

„Wir schätzen unsere Kunsthandwerker zu wenig“, sagt Shefalee Vasudev. Laila Tyabji von der Organisation Dastkar formuliert es noch deutlicher: In Indien werde um handgemachte Schuhe gefeilscht, während man für importierte Turnschuhe problemlos hohe Summen bezahle.

Solange diese innere Geringschätzung bestehe, würden ausländische Designer weiterhin indische Motive übernehmen – oft ohne Rücksicht oder Gegenleistung.

Erst wenn Indien beginnt, seine Handwerkskunst selbst zu respektieren, rechtlich zu schützen und international aufzuwerten, könne sich diese Dynamik ändern. Echte Veränderung, so betonen viele, beginnt im eigenen Land.

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