Soziale Netzwerke wirken auch ohne Bildschirmzeit nach
Viele Eltern bemühen sich, ihr Handy zur Seite zu legen, wenn sie Zeit mit ihren Kindern verbringen. Doch neue Forschung zeigt: Wer regelmäßig soziale Netzwerke nutzt, verändert sein Verhalten gegenüber Kindern – selbst wenn das Handy gar nicht in Gebrauch ist.
Laut einer aktuellen Untersuchung sprechen Mütter, die viel Zeit mit sozialen Medien verbringen, während des gemeinsamen Spiels deutlich weniger mit ihren Kindern. Das Erstaunliche: Dieser Effekt tritt auch dann auf, wenn das Handy gar nicht benutzt wird. Die Studie wurde von Liz Robinson, Doktorandin an der Universität Alabama in Tuscaloosa, auf einem internationalen Kongress in Washington, D.C. vorgestellt.
Häufige Social-Media-Nutzung senkt die Gesprächsfrequenz
Mütter mit intensiver Nutzung sozialer Netzwerke redeten beim Spielen ohne Handy fast ein Drittel weniger mit ihren Kindern als Mütter mit geringem Konsum. Die Vielnutzerinnen verbrachten im Schnitt 169 Minuten pro Tag in sozialen Netzwerken. Die Wenignutzerinnen kamen nur auf 21 Minuten täglich.
Diese Unterschiede zeigten sich unabhängig davon, ob das Handy während des Spiels benutzt wurde. Andere digitale Anwendungen wie E-Mails oder Wetter-Apps zeigten keinen messbaren Einfluss. Für die Studie beobachteten Forscherinnen 65 Mütter und ihre zwei- bis fünfjährigen Kinder in Alabama.
Obwohl die Studie noch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurde, überrascht das Ergebnis viele nicht. In anderen Forschungen berichten Erwachsene oft, dass Inhalte aus sozialen Medien sie gedanklich noch lange beschäftigen – auch wenn sie längst offline sind.
Der Körper ist da – der Kopf nicht
Kris Perry, Direktorin des Instituts „Children and Screens: Institute of Digital Media and Child Development“, war an der Studie nicht beteiligt, erklärte aber, dass soziale Netzwerke durch ihre individuell zugeschnittenen Inhalte besonders fesselnd seien. Diese Reize ziehen Aufmerksamkeit stark an – auch dann, wenn der Bildschirm längst dunkel ist.
Eltern sind in solchen Momenten zwar körperlich präsent, aber oft nicht mit dem Kopf bei der Sache. Kinder merken genau, wo die Aufmerksamkeit liegt. Wenn der Blick der Eltern häufig zu einem Gerät wandert oder gedanklich bei Online-Inhalten bleibt, erkennen Kinder, dass sie in diesem Moment nicht im Mittelpunkt stehen.
„Unsere Aufmerksamkeit ist eines der stärksten Zeichen der Zuneigung, das wir unseren Kindern geben können“, sagte Robinson. Indirekt zeigen Eltern durch ihr Verhalten, was ihnen wichtiger erscheint.
Sprache prägt Entwicklung – ab der Geburt
Laut Perry ist Sprache entscheidend für die Entwicklung von Kindern. Von Geburt bis ins junge Erwachsenenalter beeinflussen Gespräche sowohl die kognitive als auch die soziale Reifung. Mehr sprachlicher Austausch führt zu besserer Gehirnentwicklung, stärkerem Ausdrucksvermögen und besseren schulischen Leistungen.
Robinson betont zusätzlich die Bedeutung gemeinsamer Spielsituationen für die emotionale Reife. Dabei entwickeln Kinder Konzentration, Selbstregulation und Prioritäten. Wenn Erwachsene ihre Aufmerksamkeit dem Smartphone schenken, lernt das Kind, dass dieses Objekt wichtiger ist als der Austausch.
Fokus bewusst schaffen
Robinson empfiehlt Eltern, tägliche Zeiten mit uneingeschränkter Aufmerksamkeit für ihre Kinder einzuplanen. Niemand kann rund um die Uhr präsent sein. Aber schon 15 bewusste Minuten reichen oft, um dem Kind ein Gefühl echter Verbundenheit zu geben.
„Ich kann nicht den ganzen Tag verfügbar sein, aber ich kann jetzt für dich da sein“, lautet Robinsons Botschaft. Kinder leben ganz im Moment. Erwachsene können lernen, ihre Gedanken für kurze Zeit abzuschalten und sich ganz auf das Hier und Jetzt einzulassen.
Mediennutzung überdenken – für mehr Nähe
Perry rät Eltern, ihre Social-Media-Gewohnheiten bewusst zu reflektieren. Wie wirkt sich der ständige Konsum auf die eigene Aufmerksamkeit und die Beziehung zum Kind aus? Eine einfache Maßnahme ist, die Nutzung zu reduzieren – sowohl in Häufigkeit als auch in Dauer.
„Weniger Social Media bedeutet mehr echte Gespräche mit dem Kind“, erklärte Perry. Die dadurch gewonnene Zeit lässt sich direkt für aktives Spielen und Zuhören nutzen.
Robinson verweist darauf, dass die Studie keine Ursachen nachweist. Es bleibt offen, ob Social Media passives Verhalten fördert – oder ob eher zurückhaltende Eltern intensiver scrollen. Weitere Faktoren wie Einkommen, Bildung oder psychische Verfassung wurden nicht berücksichtigt.
Auch Väter in die Verantwortung nehmen
Die Untersuchung bezog sich ausschließlich auf Mütter. Robinson wünscht sich, dass zukünftige Studien auch Väter berücksichtigen – denn auch sie tragen Verantwortung für den digitalen Umgang und die Qualität der Zeit mit ihren Kindern.
Trotz offener Fragen bleibt eine klare Botschaft: Wer viel Zeit in sozialen Netzwerken verbringt, redet seltener mit seinem Kind – selbst wenn das Handy in der Tasche bleibt. Diese Erkenntnis lohnt sich, im Alltag bewusst zu beachten.
Beim nächsten Spiel mit meinen Kindern frage ich mich: Bin ich wirklich bei ihnen? Oder denkt mein Kopf noch an etwas, das ich online gesehen habe? Vielleicht spreche ich sogar mit ihnen über die Veränderungen, die ich jetzt vornehme – damit sie wissen: Meine Aufmerksamkeit gehört ihnen.