Unbeliebt, aber schwer abzuschaffen
Zweimal im Jahr stellen Europäer*innen die Uhren um – eine Stunde vor oder zurück. Die Mehrheit ist dagegen: Laut einer EU-weiten Umfrage aus dem Jahr 2018 lehnen 84 % der Befragten die Zeitumstellung ab. Trotzdem bleibt sie bestehen.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Zeitumstellung den natürlichen Biorhythmus stören kann. Sie führt zu Schlafproblemen, beeinträchtigt das Immunsystem und kann bestehende Krankheiten verschlimmern. Auch das ursprüngliche Ziel – Energieeinsparung – ist laut Expert*innen längst überholt. „Es hilft uns nicht mehr, Energie zu sparen“, erklärt Ariadna Güell Sans von der Time Use Initiative. „Das System stammt aus einer Zeit ohne Internet und mit ganz anderen Energieverbrauchsmustern.“
Abschaffung scheitert an fehlender Einigung
Die Europäische Kommission schlug 2018 vor, die halbjährliche Zeitumstellung abzuschaffen. Das Europäische Parlament stimmte mit großer Mehrheit zu: 410 Abgeordnete waren dafür, 192 dagegen. Doch bis heute konnte sich der Rat der Mitgliedstaaten nicht einigen, ob dauerhaft Sommer- oder Winterzeit gelten soll.
Einzelne Länder wollen nicht allein vorpreschen. Die EU besteht auf einer einheitlichen Umsetzung, um Chaos im Binnenmarkt – etwa bei Transport, Kommunikation oder Handel – zu vermeiden.
Ein neuer Anlauf könnte 2027 kommen: Litauen erwägt, das Thema während seiner EU-Ratspräsidentschaft erneut auf die Agenda zu setzen. Ein Sprecher der Kommission betont: „Wir unterstützen weitere Diskussionen und glauben, dass eine koordinierte Lösung möglich ist.“
Zeitzonen sind politisch geprägt
Die Abschaffung der Zeitumstellung löst das Problem jedoch nicht vollständig. Denn es müsste entschieden werden, ob dauerhaft Sommer- oder Winterzeit gelten soll – eine politische Entscheidung.
Zeitzonen spiegeln oft Machtverhältnisse wider. Im Zweiten Weltkrieg zwang Nazi-Deutschland besetzte Länder wie Frankreich und Belgien in seine Zeitzone. Spaniens Diktator Francisco Franco passte sich freiwillig der deutschen Zeit an – und blieb dabei.
Auch aktuell spielt Politik eine Rolle: Das ukrainische Parlament verzichtete bewusst auf die Sommerzeit, um sich nicht zeitweise mit der Moskauer Zeit (UTC+3) zu synchronisieren – jener Zeit, die Russland in besetzten ukrainischen Gebieten verwendet.
Zudem stimmen in vielen Ländern die offiziellen Uhrzeiten nicht mit der „Sonnenzeit“ überein. In Spanien etwa geht die Sonne im Sommer sehr spät auf und unter – mit Auswirkungen auf den Alltag. „Wenn es laut Uhr zwölf ist, sollte die Sonne am höchsten stehen“, erklärt Güell Sans. Das ist in vielen westlichen Ländern nicht der Fall.
Reformvorschlag mit neuen Konflikten
Die Time Use Initiative schlägt deshalb eine umfassende Neustrukturierung der europäischen Zeitzonen vor – basierend auf geografischen Längengraden. Ziel ist es, die Uhrzeit stärker an der natürlichen Sonnenzeit auszurichten.
Nach diesem Modell würden:
- Großbritannien, Frankreich, Spanien und die Benelux-Staaten die Westeuropäische Zeit (aktuelles GMT) nutzen,
- Irland und Portugal in die Azoren-Zeitzone wechseln – eine Stunde zurück,
- Mitteleuropa und Griechenland eine Stunde vorausgehen,
- Osteuropa und die baltischen Staaten zwei Stunden vorausgehen.
Dieser Vorschlag könnte den natürlichen Rhythmus besser unterstützen und damit die Gesundheit fördern. Gleichzeitig würde er neue Herausforderungen schaffen: So hätten Irland und Nordirland unterschiedliche Zeiten – ein politisch sensibles Thema mit Sprengkraft.
Die Debatte um die Zeitumstellung ist daher mehr als eine technische Frage. Sie berührt Identität, Geschichte und politische Interessen – und bleibt deshalb so schwierig zu lösen.