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Tabak ohne Feuer – wirklich gesünder oder bloß ein moderner Irrweg?

by Jasmin Gloor
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Ein neuer Trend verspricht viel, doch Experten bleiben skeptisch

Erhitzte Tabakprodukte verbreiten sich weltweit, doch die gesundheitlichen Folgen bleiben unklar. Ben Taylor, IT-Berater und Autor, rauchte seit seinem 13. Lebensjahr und versuchte mehrfach, mit dem Dampfen vom Tabak loszukommen, blieb dabei jedoch unzufrieden. Schließlich griff er zu IQOS, einem Gerät von Philip Morris International, das Tabak erhitzt, statt ihn zu verbrennen. Taylor empfand das Gerät als deutlich näher an einer echten Zigarette als herkömmliche E-Zigaretten und lobte insbesondere den authentischen Tabakgeschmack und das Fehlen des typischen Zigarettengeruchs. Er erklärte zudem, dass seine chronischen Hustenanfälle nach dem Umstieg verschwanden.

Die Industrie verkauft Hoffnung – doch wie glaubwürdig ist das?

Tabakkonzerne bewerben erhitzte Produkte als gesündere Alternative zur Zigarette und stützen sich dabei auf eigene Studien, die geringere Schadstoffwerte zeigen sollen. Ärzte und unabhängige Wissenschaftler warnen jedoch davor, diese Geräte als ungefährlich zu betrachten, da unabhängige Langzeitstudien noch fehlen. Trotz dieser Unsicherheiten ist das Angebot weltweit auf über 60 Länder angewachsen, mit besonders starker Nachfrage in Italien und Japan. Auch in den USA drängen diese Produkte nun auf den Markt, beginnend mit Austin, Texas, wo IQOS 2025 wieder eingeführt wurde.

Aus der Asche des Premier erwächst ein neuer Lifestyle

Bereits 1988 versuchte RJ Reynolds mit dem Produkt Premier den Tabak zu revolutionieren, doch schlechte Rückmeldungen beendeten das Projekt nach nur sechs Monaten. Heute setzen Hersteller auf moderne Elektronik, um Tabak in Sticks oder Kapseln zu erhitzen, ohne ihn zu verbrennen. Neben IQOS von PMI sind Ploom von JTI und glo von BAT populär geworden, unterstützt durch auffälliges Design und aggressive Marketingstrategien. Influencer, Musiker und Schauspieler präsentierten die Produkte bei exklusiven Veranstaltungen in Metropolen wie Madrid, Mailand oder Barcelona und machten erhitzten Tabak zu einem Lifestyle-Objekt.

Der US-Markt steht im Fokus – trotz geringer Verbreitung

In den USA bleibt die Verbreitung gering, da laut einer Umfrage nur 0,5 Prozent der Erwachsenen ein solches Gerät ausprobiert haben. Die FDA erteilte IQOS 2019 eine eingeschränkte Marktzulassung, die 2020 ausgeweitet wurde, betonte aber deutlich, dass dies keine gesundheitliche Unbedenklichkeit bedeute. PMI bewirbt IQOS dennoch als Teil seiner „rauchfreien Vision“ und gibt an, über 22 Millionen Menschen hätten vollständig von Zigaretten auf erhitzten Tabak umgestellt.

Gefährdet Werbung junge Menschen?

Kritiker warnen, dass sich die Werbekampagnen gezielt an junge, bisher nicht rauchende Menschen richten. PMI, BAT und JTI versichern, ausschließlich Erwachsene anzusprechen und keine jugendlichen Vorbilder oder Plattformen wie TikTok zu nutzen. Der Epidemiologe Silvano Gallus beobachtete jedoch seit Jahren Werbeaktionen, die auf junge Zielgruppen ausgelegt sind, besonders in Städten wie Mailand oder Nagoya. Nachdem 2019 öffentlich wurde, dass PMI eine 21-jährige Influencerin einsetzte, stoppte das Unternehmen eine entsprechende Kampagne. Gallus verweist auf Studien, wonach erhitzter Tabak besonders unter Jugendlichen in Italien verbreitet ist, während PMI Studien mit geringen Jugendnutzungszahlen in Japan zitiert.

Einstiegsprodukt statt Ausstiegshilfe?

Gallus veröffentlichte 2024 eine Studie mit 3.000 italienischen Teilnehmern, die sechs Monate lang begleitet wurden. Nichtraucher, die mit erhitztem Tabak begannen, griffen fast sechsmal häufiger später zur Zigarette als andere. Für ihn ist klar, dass solche Produkte eine Einstiegstür zur Nikotinsucht darstellen. PMI kritisierte die Studie wegen ihrer geringen Stichprobe und des Pandemiezeitraums, doch Gallus bleibt bei seiner Einschätzung, dass erhitzter Tabak die Tabakprävention konterkariert.

Wenn Tabak cool wird – wie Werbung Lifestyle verkauft

Tabakhersteller nutzen globale Musikfestivals, Modeevents und Social-Media-Plattformen, um ihre Produkte als stilvolles Accessoire zu präsentieren. Eine Studie der Universität Rochester zeigte, dass Instagram-Posts mit Models, Pools oder Luxusautos höhere Reichweite erzielen. WHO-Analysen warnten 2023 davor, dass diese Art der Darstellung vor allem technikaffine junge Erwachsene anspricht. PMI erklärt, es sei nicht auf TikTok vertreten und achte bei Veranstaltungen auf ein Mindestalter von 75 Prozent des Publikums. Nach eigenen Angaben seien über 80 Prozent der IQOS-Nutzer über 29 Jahre alt.

Forschungslage lückenhaft und oft industrienah

Langfristige gesundheitliche Folgen sind schwer zu beurteilen, weil unabhängige Studien fehlen. Viele Untersuchungen stammen aus Konzernlaboren, was die Aussagekraft einschränkt. Ein Forscherteam aus der Schweiz stellte bereits 2017 fest, dass IQOS trotz fehlender Flamme Substanzen freisetzt, die an Rauch erinnern. Die Temperatur von etwa 330 Grad Celsius reicht für die Entstehung giftiger Verbindungen. Die Forscher forderten, erhitzten Tabak rechtlich wie Zigaretten zu behandeln.

Gefahr durch unsichtbare Chemie?

Chemiker Efthimios Zervas untersuchte über Jahre die Emissionen von Geräten wie IQOS und glo. Er fand heraus, dass die Produkte zwar weniger, aber dennoch gefährliche Stoffe enthalten, darunter Partikel, die tief in die Lunge eindringen. Einige Substanzen wie Methylglyoxal treten sogar in höheren Mengen auf als beim Zigarettenrauch. PMI entgegnet, IQOS erzeuge keine festen Partikel, doch andere Studien fanden über 200 verschiedene Verbindungen in den Dämpfen. Die WHO fordert weiterführende Analysen zu deren gesundheitlichen Auswirkungen.

Regulierungsbehörden mahnen zur Vorsicht

Die FDA erklärte in ihrer Zulassung explizit, dass die Produkte nicht als sicher gelten. Alle drei Hersteller geben zu, dass ihre Produkte Risiken bergen, betonen jedoch einen möglichen Nutzen beim vollständigen Umstieg. PMI sieht sich als Wegbereiter einer rauchfreien Zukunft, während BAT den Fokus auf das Weglassen der Verbrennung legt. JTI erklärt, keine Entwöhnungshilfe, sondern lediglich eine Alternative zum klassischen Rauchen anzubieten.

Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Tabakforschung

Die Europäische Gesellschaft für Atemwegserkrankungen kritisierte 2024 die wissenschaftlichen Behauptungen der Industrie als irreführend. Zwar würden einige Schadstoffe reduziert, doch andere – wie Nitrosamine oder Reizstoffe – blieben erhalten. Eine Untersuchung der Universität Bath kam 2022 zum Schluss, dass die Studienqualität von PMI mangelhaft und stark voreingenommen sei. PMI wies die Kritik zurück und bezeichnete die Quelle als unzuverlässig, ohne Belege vorzulegen.

Immer neue Produkte erschweren die Kontrolle

Gesundheitsexperten sehen sich einer Flut neuer Tabakprodukte gegenüber, die sie kaum einordnen können. Sandra Mullin von Vital Strategies beschrieb die Regulierung als Spiel gegen immer neue Varianten. In China entdeckte sie 2025 Geräte, die eher wie Spielzeuge als wie Tabakprodukte wirken. Die WHO befürchtet, dass solche Trends nicht zum Aufhören, sondern zum Mehrkonsum führen. Eine britische Studie von 2022 fand keinen klaren Beweis, dass erhitzter Tabak beim Aufhören hilft. Daten der WHO zeigen, dass viele Nutzer sogenannte „Dual User“ sind, die zusätzlich Zigaretten konsumieren.

Zwei Produkte, doppeltes Risiko

Eine globale Analyse von Gallus und Kollegen zeigte, dass zwei von drei Nutzern parallel weiterrauchen. Das erhöht laut Gallus das Risiko für Krankheiten und frühe Todesfälle erheblich. Forscherin Sophie Braznell kritisiert, dass die Industrie doppelt profitiere – am klassischen und am neuen Konsum. PMI erklärt, 72 Prozent der IQOS-Nutzer hätten vollständig umgestellt, während BAT und JTI keine Stellungnahmen zum Doppelkonsum abgaben.

Blick in die Zukunft: Neue Geräte, alte Gefahren

Mit der Rückkehr von IQOS nach Austin befürchten Gesundheitsschützer eine neue Ära des Tabakkonsums. Yolonda Richardson warnt vor gleichzeitiger Nutzung von IQOS, E-Zigaretten und Nikotinbeuteln, besonders bei Jugendlichen. Sie betont, dass gesundheitliche Folgen in Jahren kaum einem Produkt eindeutig zugeordnet werden könnten. Efthimios Zervas fordert daher, dass Hersteller erst beweisen müssen, dass ihre Produkte sicher sind – bevor sie auf den Markt kommen.

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