Mangelnde Entlohnung trotz hoher Verantwortung
In der Westschweiz berichten angehende Anwältinnen und Anwälte von untragbaren Arbeitsbedingungen. Julie verdient nach ihrem Jurastudium nur 2100 Franken netto im Monat. Bereits nach zehn Tagen bleibt ihr kein Geld mehr. Obwohl sie ihrer Kanzlei hohe Einnahmen bringt, erhält sie keine Kompensation für Überstunden. Diese werden weder notiert noch ausgeglichen.
Antoine verdient sogar nur 1500 Franken. Praktikanten gelten als billige, jedoch voll belastete Arbeitskräfte. Fehler führen sofort zu Schuldzuweisungen. Staatliche Stellen und private Kanzleien teilen sich die Ausbildung. Zwar empfehlen einige Anwaltskammern Mindestlöhne – doch diese bleiben auf sehr niedrigem Niveau. Hinzu kommen hohe Prüfungskosten und unbezahlte Vorbereitung.
Ausbildung ohne Qualität
Viele berichten von mangelhafter Betreuung. Pierre kritisiert, dass seine Ausbildnerin das Schweizer Recht kaum kannte. Trotzdem durfte sie unterrichten. In einem anderen Praktikum wurde er öffentlich als unfähig beschimpft. Die Kritik war laut, verletzend und von allen hörbar. Praktikanten erleben diese Herabwürdigungen regelmäßig.
Caroline erzählt von Spott und sexistischen Bemerkungen. Kollegen machten sich wiederholt über ihr Aussehen lustig. Der Spott fand offen in der Kanzlei statt. Auch andere Praktikantinnen litten unter ähnlichem Verhalten.
Schweigen aus Angst vor beruflichen Folgen
Viele angehende Juristinnen und Juristen sprechen nur anonym. Sie fürchten Repressionen und Karrierenachteile. Antoine berichtet, dass Vorgesetzte gezielt Bewerbungen verzögern oder Konkurrenten bevorzugen. Mitglieder einiger Anwaltskammern kritisieren die Zustände offen. Dennoch bleibt der Widerstand schwach, solange Betroffene schweigen. Der Druck auf Veränderungen reicht bislang nicht aus.