Kirra Pendergast ist eine führende Expertin für Cybersicherheit und spricht jedes Jahr mit Tausenden von Jugendlichen. Sie kennt die Herausforderungen, denen junge Menschen im Internet ausgesetzt sind – von Textnachrichten über Mobbing und Sextortion bis hin zu Drohungen. Doch nichts hätte sie auf das vorbereitet, was sie diesen Monat in einer australischen Schule erlebte. Während eines Vortrags vor 12- und 13-jährigen Schülern begannen einige Jungen, beleidigende Kommentare über die Frauenbilder in ihrer Präsentation zu rufen. Als ein Mädchen dann einen besonders vulgären Kommentar abgab, verließ Pendergast den Raum in Tränen.
„Ich kann nicht glauben, dass ich hier weine“, sagte sie in einem Video, das sie später in ihrem Auto drehte. „Das Verhalten, das ich heute gesehen habe, wurde von dem beeinflusst, was sie online sehen. Es muss sich ändern.“
Früher war Pendergast gegen ein Verbot von Social Media für Kinder, doch mittlerweile hat sie ihre Meinung geändert. „Ich habe alle Argumente durchdacht und konnte jedes entkräften. Und dann dachte ich: ‚Weißt du was? Verbietet es einfach.‘“
Australien plant strenge Regelungen für Social Media
Als Antwort auf die zunehmenden Bedenken über die Auswirkungen sozialer Medien auf Kinder hat die australische Regierung einen Gesetzesentwurf vorbereitet, der es Kindern unter 16 Jahren verbieten soll, Plattformen wie Snapchat, TikTok, Facebook, Instagram, Reddit und X (früher Twitter) zu nutzen. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, drohen Social-Media-Unternehmen hohe Strafen von bis zu 50 Millionen australischen Dollar (rund 32 Millionen US-Dollar), wenn sie keine ausreichenden Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass Kinder die Plattformen nutzen.
Die Regierung fordert von den Unternehmen keine spezifischen Lösungen, erwartet jedoch die Einführung von Altersverifikationstechnologien, was in Bezug auf den Datenschutz jedoch Bedenken aufwirft. Kritiker sehen das Gesetz als überhastet und politisch motiviert, während Befürworter es als notwendig erachten, um Kinder vor den Gefahren der digitalen Welt zu schützen.
Tragische Folgen von Online-Mobbing
Die Forderungen nach strengeren Regeln wurden durch tragische Ereignisse verstärkt. In den letzten Monaten haben sich zwei 12-jährige Mädchen das Leben genommen, nachdem sie Opfer von Mobbing auf Social Media geworden waren. Charlotte O’Brien und Ella Catley-Crawford wurden angeblich auf Snapchat gemobbt. In Ellas Fall verbreiteten Täter private Videos von ihr, indem sie sich als andere Personen ausgaben. Ihre Familien fordern nun ein Verbot der Nutzung sozialer Medien für unter 16-Jährige.
Charlotte’s Eltern, Matthew Howard und Kelly O’Brien, haben sich dem Kampf angeschlossen und eine Petition mit über 124.000 Unterschriften übergeben, die eine Erhöhung des Mindestalters für die Nutzung sozialer Medien auf 16 Jahre fordert. „Kein Elternteil sollte durch das gehen müssen, was wir durchgemacht haben“, erklärte Matthew Howard in einem Video.
Dr. Danielle Einstein, eine klinische Psychologin, erklärte, dass Schulen zunehmend Schwierigkeiten haben, mit den negativen Auswirkungen von Social Media umzugehen. „Lehrer stehen unter enormem Druck, weil die problematischen Verhaltensweisen, die in sozialen Medien toleriert werden, schwer zu kontrollieren sind“, sagte sie.
Einigung der politischen Parteien in Australien
Obwohl politische Einigkeit in Australien selten ist, scheint es bei der Frage des Social-Media-Zugangs für Kinder eine breite Zustimmung zu geben. Premierminister Anthony Albanese unterstützte den Gesetzesentwurf und erklärte, dass soziale Medien „unseren Kindern schaden“, und rief dazu auf, etwas gegen dieses Problem zu unternehmen. Auch die Opposition und alle Landeshauptleute stehen hinter dem Gesetz.
Dany Elachi, ein Vater, der seiner Tochter im Alter von 10 Jahren ein Smartphone gab, berichtete von den negativen Auswirkungen, die Social Media auf das Leben seiner Tochter hatte. „Als wir sie nachts beim heimlichen Nachrichtenschreiben erwischten, wussten wir, dass wir etwas ändern mussten“, sagte er. Gemeinsam mit seiner Frau gründete er die „Heads Up Alliance“, um andere Eltern zu ermutigen, Smartphones später an ihre Kinder abzugeben.
„Wir haben Selbstmordbriefe von Kindern gesehen, die Social Media für ihren Tod verantwortlich machten. Wie können wir immer noch darüber diskutieren, ob Social Media schädlich ist?“, fragte Elachi empört.
Experten zweifeln an der Wirksamkeit des Verbots
Trotz der breiten Anerkennung der schädlichen Auswirkungen von Social Media gibt es viele Experten, die bezweifeln, dass ein vollständiges Verbot der richtige Weg ist. Mehr als 140 Fachleute haben einen Brief an die Regierung geschickt, in dem sie das geplante Verbot als eine „grobe“ Lösung bezeichnen. Sie fordern stattdessen, dass digitale Plattformen stärker unter australische Gesetze gestellt werden und dass Lösungen gemeinsam mit den betroffenen Jugendlichen entwickelt werden.
Dr. Amanda Third von der Western Sydney University sagte, dass das derzeitige Mindestalter von 13 Jahren für die Nutzung sozialer Medien für viele Kinder noch „ganz angemessen“ sei. „Ein Verbot scheint eine schnelle Lösung zu sein, aber es wird nicht die erhoffte Erleichterung bringen“, erklärte sie.
Es gibt auch Hinweise darauf, dass das Gesetz politisch motiviert sein könnte, da es vor den Wahlen im nächsten Jahr eingeführt wird. Mediengigant News Corporation ist ein starker Befürworter des Gesetzes, nicht zuletzt wegen eines Streits mit Meta, dem Betreiber von Facebook und Instagram.
Reaktionen der Social-Media-Unternehmen
Plattformen wie Instagram und Snapchat haben bereits Funktionen eingeführt, mit denen Nutzer Mobbing melden und blockieren können. Doch viele Kritiker halten diese Maßnahmen für unzureichend.
Elon Musk, der Eigentümer von X (ehemals Twitter), bezeichnete das Gesetz als übermäßige staatliche Einmischung und befürchtete, dass dies zu einer Kontrolle des Internets in Australien führen könnte.
Pendergast, die Cybersicherheitsexpertin, betonte dennoch, dass es dringend notwendig sei, etwas gegen die schädlichen Auswirkungen sozialer Medien auf Kinder zu unternehmen. „Wenn eine einfache Regel ein Kind schützt, ist das nicht den Aufwand wert?“, schrieb sie in einem Facebook-Post. „Warum sollten wir einem Kind diesen Schutz verweigern?“
Die Debatte über den Umgang mit den Gefahren der digitalen Welt und den Schutz von Kindern im Internet wird in Australien weitergeführt. Doch eines ist klar: Der Schutz von Kindern online ist ein dringendes Thema, das nicht länger ignoriert werden kann.